Wohnen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter

Tabea Möller

Wohnen ist ein selbstverständlicher Teil unseres Alltags. Es ist ein existenzielles Grundbedürfnis für alle Menschen. Angemessener Wohnraum bietet Privatsphäre, Schutz, Erholung und ist Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Im Übergang junger Menschen in ein selbstbestimmtes Leben ist der Auszug aus dem Wohnkontext der Familie, Pflegefamilie oder der Wohngruppe in eigenen Wohnraum ein zentraler Bestandteil. Bezahlbarer Wohnraum wird in Deutschland immer knapper. Ein Grund dafür ist, dass der Großteil des Wohnraums wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen und Privatpersonen unterliegt und soziale Aspekte hier i.d.R. nicht im Vordergrund stehen (vgl. Steckelberg 2023, 30).  Zudem nimmt der Bestand an sozial geförderten Wohnungen stetig ab. Zwischen 2000 und 2020 hat sich der Bestand an Sozialwohnungen halbiert (vgl. ebd.). Das bedeutet, dass es für junge Menschen auf diesem engen Wohnungsmarkt besonders schwierig ist eine angemessene Wohnung zu finden, da sie sich in Phasen der Qualifizierung und Orientierung befinden und in der Regel kein sicheres und/oder ausreichendes Einkommen sowie entsprechende Sicherheiten vorweisen können.

Zahlen zum Wohnraum in Deutschland (Zensus 2022)

In Deutschland gehören 57,8% der Wohnungen Privatpersonen und weitere 21,5% Eigentümer*innengemeinschaften. Nur 5% der Wohnungen gehören Genossenschaften und 6% Kommunen oder kommunalen Wohnungsunternehmen. Weitere 6% gehören privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen.
53,5% der Wohnungen in Deutschland werden vermietet. 4,5% der Wohnungen stehen leer, das sind 1.924.985 Wohnungen insgesamt.
52,5 % der Wohnungen in Deutschland befanden sich zum Jahresende 2022 in Mehrfamilienhäusern. Einfamilienhäuser machten knapp ein Drittel (31,0 %) der Wohnungen aus. 15,2 % der Wohnungen befanden sich in Zweifamilienhäusern, weitere 1,3 % (0,5 Millionen) in Wohnheimen (z. B. für Studierende, Geflüchtete oder Wohnungslose).
Zum Jahresende 2022 betrug die durchschnittliche Wohnfläche je Wohnung 92,2 Quadratmeter, die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf lag bei 47,4 Quadratmetern. Damit haben sich die Wohnfläche je Wohnung seit dem Jahr 2012 um 1,0 Quadratmeter (+1,1 %) und die Wohnfläche je Einwohner*in um 1,2 Quadratmeter (+2,6 %) erhöht.

Ergebnisse des Zensus 2022 Themengebiet Wohnungen 

Das Recht auf Wohnen

Wohnen ist ein Menschenrecht! Wohnen heißt dabei mehr als nur ein Dach über dem Kopf zu haben. Im UN-Sozialpakt werden sieben Kriterien genannt, die angemessenes Wohnen ausmachen:

Deutschland hat den UN-Sozialpakt 1973 ratifiziert. Im Grundgesetz ist ein Recht auf Wohnen indirekt verankert. Durch die Garantie der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes ergibt sich ein Gestaltungsauftrag für die Politik: Um ein menschenwürdiges Dasein zu verwirklichen, muss von staatlicher Seite ein „Existenzminimum“ garantiert werden, welches auch das Wohnen umfasst. In den Sozialgesetzbüchern sind entsprechende Leistungen verankert, wie Zuschüsse für eine angemessene Wohnung, Wohngeld und Wohnungshilfen (vgl. Krennerich, M., 2018). Wohnungsnotstand und -losigkeit sind in Deutschland zu einem wachsenden Problem für junge Menschen geworden. Neben der Wohnungspolitik sind auch öffentliche und freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe gefordert, neue Wege zu gehen, um ihrer sozialpolitischen Verantwortung gerecht zu werden und das Menschenrecht junger Menschen auf Wohnen zu verwirklichen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung, um ihnen den Übergang in ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Kommunales Best-Practice Beispiel: Wohnraum für Care Leaver*innen in Hamburg

Die Sozialbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg hat 2017 das Programm Hier wohnt Hamburgs Jugend initiiert. Hierfür werden im Rahmen des Hamburger Wohnungsbauprogrammes bei der Vermarktung stadteigener Liegenschaften für den Wohnungsbau besondere Wohnungskontingente für junge Menschen geschaffen, die aus betreuten Jugendhilfeeinrichtungen ausziehen. Vermietende verpflichten sich, langfristig (wenigstens 30 Jahre) ausschließlich an die Zielgruppe der Care Leaver*innen zu vermieten. Der Träger Jugend & Wohnen begleitet die Vermittlung der Wohnungen und bietet den jungen Menschen im Übergang und im Nachgang Unterstützung und Beratung im eigenen Wohnraum an.

Zum Projekt Jugend und Wohnen 

Spezifische Wohnangebote für junge Menschen

Es gibt verschiedene Wohnangebote, die sich spezifisch an junge Menschen richten. Es gibt z.B. Wohnheime für Studierende und Auszubildende. Wollen junge Menschen einen Platz in einem dieser Wohnheime belegen, müssen sie in einer beruflichen Qualifikationssituation befinden (Studium, Ausbildung, berufliche Qualifizierungsmaßnahme). Ohne Ausbildung oder Studium finden sich sehr wenig Angebote auf dem Wohnungsmarkt, wo junge Menschen Vorrang haben. Dies führt dazu, dass junge Menschen auf dem „freien Wohnungsmarkt“ mit anderen Bewerber*innen konkurrieren, die finanziell besser gestellt sind und haben dadurch schlechte Chancen. Die Gruppe junger Menschen muss in der Wohnungspolitik auch jenseits von Ausbildung und Studium in den Blick genommen werden. Es braucht Kooperationen zwischen Jugendhilfeträgern, Wohnungswirtschaft, Verwaltung und Politik, um den Zugang zu Wohnraum für junge Menschen zu ermöglichen. 

Kommunales Best-Practice Beispiel: Social Bett&Bildung

Social B&B von Gangway e.V. Berlin ist ein innovatives Konzept der Wohnraumvermittlung an junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren. Gangway e.V. kooperiert mit Unternehmen der Wohnungswirtschaft und privaten Vermieter*innen. Diese stellen Wohnungen für junge Menschen in prekären Lebenslagen zur Verfügung, die die jungen Menschen selbst anmieten. Grundlegende Idee ist, dass die Wohnungen von den jungen Menschen und nicht vom Träger gemietet werden und somit ein direkter Zugang zum Wohnungsmarkt ermöglicht wird. Gangway e.V. sucht unter den jungen Menschen, die bei ihnen in der Straßensozialarbeit angebunden sind, eine passende Person aus, der die Wohnung exklusiv angeboten wird. Zudem begleiten sie die jungen Menschen beim Umzug in die Wohnung und darüber hinaus weiter auf dem Weg in die Eigenständigkeit. Über einen Instagram-Kanal werden Wohn-Skills und Live-Hacks für junge Menschen zugänglich gemacht.

Zum Projekt Social B&B

Jung und wohnungslos

Menschen sind laut Wohnungslosenberichterstattungsgesetzes (WoBerichtsG) wohnungslos, wenn die Nutzung einer Wohnung durch eine Person oder eine Mehrheit von Personen desselben Haushalts weder durch einen Mietvertrag oder einen Pachtvertrag noch durch ein anderes Recht abgesichert ist oder eine Wohnung einer Person aus sonstigen Gründen nicht zur Verfügung steht. Das bedeutet, dass Menschen auch als wohnungslos gelten, wenn sie bei Freund*innen auf der Couch übernachten (verdeckte Wohnungslosigkeit) oder in Unterkünften übergangsweise untergebracht sind. Obdachlos ist, wer keinen festen Wohnsitz hat und im Freien übernachtet. Obdachlosigkeit kann als eine Unterform der Wohnungslosigkeit gefasst werden. Jugendliche und junge Erwachsene können bereits gemeinsam mit ihren Familien in Wohnungslosigkeit geraten. Weitere Ursachen für Wohnungslosigkeit bei jungen Menschen sind der Bruch mit dem Hilfesystem (Care Leaver*innen) oder das Verlassen einer konflikthaften Familienkonstellationen (Family Leaver*innen). Junge wohnungslose Menschen sind eine besonders vulnerable Gruppe (Feantsa 2020) und müssen von den sozialen Diensten und der Wohnungspolitik gesondert in den Blick genommen werden und spezifische Angebote müssen geschaffen werden.

Zahlen zu Wohnungslosigkeit junger Menschen

Anhand des ersten Wohnungslosenberichts der Bundesregierung aus dem Jahr 2022 lässt sich die Größenordnung der betroffenen Minderjährigen und jungen Erwachsenen bis unter 25 Jahre näherungsweise ablesen. Bundesweit gelten am 31.01.22 insgesamt 262.000 Menschen als wohnungslos. Über ein Drittel (37%) der institutionell untergebrachten wohnungslosen Menschen, sind unter 25 Jahre alt und etwa ein Viertel (26%) sind minderjährig. Unter den Menschen, die ohne Unterkunft auf der Straße oder in behelfsmäßigen Unterkünften leben sind 11% (ca. 4.000) zwischen 18 und 24 Jahren alt. Weitere 12.500 junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren leben in verdeckter Wohnungslosigkeit.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2022

Wohnen zuerst: Housing First

Im Rahmen von Housing First Angeboten soll wohnungslosen Menschen ohne Bedingungen Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Das Konzept stammt aus der US-amerikanischen Sozialpolitik. Der Ansatz geht davon aus, dass Menschen als Grundlage und Ausgangspunkt zunächst eine stabile Unterkunft brauchen und alle anderen Fragestellungen erst dann in Angriff genommen werden können. Im Rahmen von Housing First wird Unterstützung angeboten, die freiwillig angenommen werden kann. Wichtig ist die konzepttreue Umsetzung der Grundprinzipien des Housing First:

Housing First Projekte gibt es in Deutschland mittlerweile in einigen Städten und Kreisen. Als niedrigschwellige Angebote bieten sich Housing First Konzepte auch für junge Menschen an. Housing First darf aber nicht dazu führen, dass Hilfen früher beendet werden und es bedarf passender Unterstützungs- und Begleitangebote (vgl. Daigler 2023, 83).

Literaturverweis

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2022): Ausmaß und Struktur von Wohnungslosigkeit. Der Wohnungslosenbericht 2022 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Nürnberg.  https://www.bmwsb.bund.de/SharedDocs/downloads/Webs/BMWSB/DE/veroeffentlichungen/pm-kurzmeldung/wohnungslosenbericht-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (Abruf am 16.08.24)

Feantsa – European Federation of National Organisations Working with the Homeless (2020): European Framework for Defining Youth Homelessness. Brüssel.

Daigler, C. (2023): Junge Wohnungslose. Eine Einführung für die Soziale Arbeit. Kohlhammer. Stuttgart.

Krennerich, M. (2018): Ein Recht auf (menschenwürdiges) Wohnen? https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/270880/ein-recht-auf-menschenwuerdiges-wohnen/ (Abruf: 16.08.2024)

Steckelberg, C. (2023): Wohnungslosigkeit. Grundlagen und Handlungswissen für die Soziale Arbeit. Kohlhammer. Stuttgart.

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Care Leaver*innen

Care Leaver*innen verfügen über Erfahrungen in stationären Erziehungshilfen (Jugendwohngruppen, Pflegefamilien oder andere betreute Wohnformen) und befinden sich im Übergang aus diesen Hilfeformen in ein eigenverantwortliches Leben oder leben bereits in eigenem Wohnraum. Care Leaver*innen können nachgehend eine ambulante Betreuung in Anspruch nehmen oder in anderen Hilfesettings (z. B. Jugendsozialarbeit oder Eingliederungshilfe weiter begleitet werden).
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