Begleitung junger, „entkoppelter“ Menschen bei der Wohnungssuche

Die Jugendberatung Gröpelingen (Bremen) setzt in ihrer Begleitung junger Menschen im Prozess der Wohnungssuche auf tatkräftige sozialpädagogische Unterstützung. Die Mitarbeiter*innen verfolgen einen niedrigschwelligen Ansatz, eine kontinuierliche Netzwerkarbeit sowie Austausch im Team. Wie genau dieses in der alltäglichen Arbeit mit den jungen Menschen umgesetzt und ausgestaltet wird, berichten die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle hier.

Best-Practice Beispiele der JUST:BEst Kommune Hansestadt Bremen - Begleitung junger "entkoppelter" Menschen bei der Wohnungssuche

Multiple Problemlagen

Die Wohnungssuche gestaltet sich für junge Menschen, insbesondere wenn sie über wenig materielle und soziale Ressourcen verfügen, inzwischen fast überall in Deutschland sehr herausfordernd. Häufig wird von Fachkräften der Mangel an Wohnraum als hauptsächlicher Faktor für schwierige Lebenslagen genannt. Dies impliziert, dass die multiplen Problemlagen wohnungsloser junger Menschen vor allen Dingen durch ausreichend vorhandenen Wohnraum gelöst werden könnte. Wir möchten jedoch weitere wichtige Voraussetzungen benennen, die der Entkoppelung von jungen Menschen entgegenwirken können.

Im Rahmen der Förderung durch das ESF+ Programm JUGEND STÄRKEN: Brücken in die Eigenständigkeit bietet die Jugendberatung Gröpelingen der Waller Beschäftigungs- und Qualifizierungsträger mbH gemeinnützig (WaBeQ mbHg) eine Begleitung junger Menschen im Prozess der Wohnungssuche an.

Der derzeitige Personalmangel, unterschiedliche Arbeitsweisen in Ämtern, Misstrauen in die Behörden, verloren gegangene Ausweisdokumente sowie eine fehlende Verbindlichkeit junger Menschen in prekären Lebenssituationen können dazu beitragen, dass sich Bearbeitungszeiten von Anträgen auf Sozialleistungen verlängern und sich somit die Anbindung an das Jobcenter verzögert oder scheitert.

"Jedoch ist die Erfahrung der Jugendberatung Gröpelingen, dass sich dieser Anbindungsprozess trotz struktureller Schwierigkeiten und individueller Herausforderungen seitens der Teilnehmenden durch eine tatkräftige sozialpädagogische Unterstützung, einen niedrigschwelligen Ansatz, eine kontinuierliche Netzwerkarbeit sowie ein steter professioneller Austausch innerhalb des Teams beweglicher gestalten lässt."

Wissen über Zuständigkeiten, Räumlichkeiten sowie Abläufe




aktive Begleitung

Eine beständige Netzwerkarbeit mit der Jugendberufsagentur Bremen, insbesondere der Fachbereiche SGB II und SGB VIII Mitte/West und der Zentralen Fachstelle Wohnen (ZFW) gestaltet den Anbindungsprozess an sozialrechtliche Leistungen fließender und ist gerade für „entkoppelte“ junge Menschen von besonderer Bedeutung. Das Wissen über Zuständigkeiten, Räumlichkeiten sowie Abläufe im Jobcenter oder in der ZFW gibt Teilnehmenden Orientierung im Antragsverfahren und Sicherheit im Umgang vor Ort. Das Bekanntsein öffnet Türen, erleichtert die Terminvergabe und lockert die Atmosphäre schon beim Betreten der Räumlichkeiten auf. Bestehende Hemmschwellen, Schamgefühle oder Vorurteile seitens der Teilnehmenden können so gemindert werden. Bei der Abgabe des möglichst vollständigen Bürgergeld-Neuantrages bzw. Weiterbewilligungsantrages ist die aktive Begleitung für Teilnehmende sehr unterstützend, da gerade das Warten in der Eingangszone im Jobcenter Unruhe, Fluchtreflexe und Schamgefühle hervorrufen können.

 

 

Abgabe des Bürgergeld-antrages

Hinweis auf Mittellosigkeit

 

 

 

 

 

 

 

 

Wohnraum-gespräch

Eine Begleitung bietet durch Gespräche Ablenkung, Sicherheit und Orientierung. „Entkoppelte“ junge Erwachsene sind im Alltag auf sich allein gestellt, daher kann die Erfahrung einer tatkräftigen Unterstützung stärkend sein. Teilnehmende berichten, dass der Gang zum Jobcenter für sie schwer ist. Die persönlichen Fragen zu beantworten, Auskunft über die Familie zu geben und die aktuelle Lebenssituation zu beschreiben ist nicht einfach und kann eher belastend sein. Bei der Abgabe des Bürgergeldantrages wird mit dem Hinweis auf Mittellosigkeit durch die Jugendberatung Gröpelingen oder des jungen Menschen geprüft, ob diese vorliegt. Liegt die Mittellosigkeit vor, kann das Jobcenter eine vorläufige Entscheidung gemäß §41a SGB II (Vorläufige Entscheidung) treffen. Ein Gutschein und ein vorläufiger Leistungsbescheid können auf dieser Grundlage ausgestellt werden. Der Grundbedarf ist dann vorerst gesichert und die Krankenversicherung gewährleistet.  In der Regel sind Kontoauszüge, sofern ein Konto vorhanden ist, für eine Antragstellung oder einen Weiterbewilligungsantrag, unabdingbar. Es kommt vor, dass der Zugriff auf diese nicht mehr möglich ist. Eine verlorengegangene Bankkarte oder ein fehlender Zugang zum Onlinebanking erschweren den Abruf der benötigten Kontoauszüge. Wenn die Ausweispapiere ebenfalls nicht vorhanden sind, wird es sehr schwierig und fast unmöglich, Onlinezugänge zu beantragen oder Kontoauszüge zu bestellen. Für junge Menschen ohne ein Bankkonto ist eine Beantragung ohne Ausweispapiere oder Ausweise mit einer zu kurzen Gültigkeitsdauer nicht möglich. Erst nach Neubeantragung oder Verlängerung der Ausweisdokumente kann ein Bankkonto eröffnet werden. Die Leistungen zur Grundsicherung können als Scheck an die angegebene Postadresse verschickt werden. Auch für die spätere Registrierung bei Wohnungsgesellschaften ist ein noch mindestens sechs monatiges gültiges Ausweisdokument notwendig. 

Gemeinsame Vorbereitung

Ist das Fallmanagement im Jobcenter noch nicht involviert, wird dieses nun tätig. Das Wohnraumgespräch steht an. Aufgrund der wöchentlichen aufsuchenden Arbeit durch die Jugendberatung Gröpelingen sind die zuständigen Fallmanager*innen für Bremen-Mitte und den Bremer-Westen bekannt. Eine Terminvergabe kann zeitnah erfolgen und auch dieser Termin wird auf Wunsch des jungen Menschen begleitet. Für das Wohnraumgespräch findet eine gemeinsame Vorbereitung in der Jugendberatung Gröpelingen statt. Der Fragebogen dafür ist online verfügbar. Der junge Mensch berichtet in einer vertrauten Situation über die schwerwiegenden sozialen Gründe (§ 35 SGB II), welche zur Finanzierung eigenen Wohnraums seitens des Jobcenters für junge Menschen unter 25 Jahre i. d. R. notwendig sind.

Emotionaler Schutz

"Wut und Traurigkeit können in der Vorbereitung aufgefangen werden. Der eigentliche Termin mit dem Fallmanagement ist bedingt durch die Thematik nicht zwingend leichter, aber der Verlauf ist aufgrund der Vorbereitung bekannt. Mit dem biographischen Wissen über die Gründe der sozialen Notlage kann die Fachkraft zusätzlich für emotionalen Schutz sorgen"

Wohnberechti-gungsschein

Anbindung an die Zentrale Fachstelle Wohnen

Wohnungssuche

Stellt das Fallmanagement die Zusicherung zur Anmietung einer eigenen Wohnung aus, wird die Leistungsabteilung aufgrund der Erhöhung der Grundsicherung um die zu erwartenden Kosten der Unterkunft und der anstehenden Wohnungssuche umgehend informiert.  Mit dem Erhalt des (vorläufigen)Leistungsbescheides vom Jobcenter kann ein Wohnberechtigungsschein beantragt werden. Ein freundliches Telefonat mit einer Verwaltungsfachkraft in der ausstellenden Behörde kann zu einer ergiebigen Kooperation führen und Zugänge zum Wohnungsmarkt erleichtern. Zeitgleich erfolgt die Anbindung an die ZFW.  Diese ist in Bremen die erste Anlaufstelle für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen. Hier werden Notfallschlafplätze vergeben. Auch hier kann der junge Mensch entscheiden, ob eine Begleitung gewünscht ist. Begleitungen ermöglichen erneut einen Kontaktaufbau zu den jeweiligen Fachkräften, so dass ein gewinnbringender Austausch für die Teilnehmenden der Jugendberatung Gröpelingen besteht.

Registrierung bei den Wohnungsbau-gesellschaften

Die Wohnungssuche beginnt mit der Erlaubnis, eigenen Wohnraum anmieten zu können, sowie dem Erhalt des Leistungsbescheides des Jobcenters, dem Wohnberechtigungsschein und der Registrierung bei der ZFW. Eine Auskunft der Schufa kann nur beantragt werden, wenn ein gültiges Ausweisdokument oder eine Meldebescheinigung vorliegt. Da wohnungslose junge Menschen in der Regel keinen Zugriff mehr auf die alte Meldeadresse haben, also nicht mehr über diese Adresse postalisch erreichbar sind, muss für den Postverkehr eine Alternative gefunden werden.

Besichtigungs-termin

In Einzelfällen bitten wir die Behörden und Wohnbaugesellschaften, den Briefverkehr über unser Büro laufen zu lassen. Für die Registrierung ist es hilfreich, wenn Teilnehmende eine E-Mailadresse haben und telefonisch erreichbar sind., denn in der Regel erhalten sie die Mietangebote per Mail

Mietangebot

"Nun beginnt das tägliche Abrufen der E-Mails. Sobald ein Besichtigungstermin z. B. bei einer Wohnungsgesellschaft, ansteht, beginnt die Vorbereitung auf diesen Termin. Auch hier findet bei Bedarf eine Begleitung statt. Die Entscheidung verläuft recht zügig, da es viele Interessent*innen gibt. Anschauen, entscheiden und das Interesse umgehend dem*der Vermieter*in mitteilen sind in der Situation die wichtigsten Schritte."

Mietübernahme-bescheinigung

 

 

 

 

Zusage und Unterschrift des Mietvertrages

 

 

Einzugsplanung

Nach Bezug der Wohnung

Das Mietangebot sollte, wenn möglich, am gleichen Tag beim Jobcenter eingereicht werden. Da zu diesem Zeitpunkt durch die ersten Begleitungen Hemmschwellen gegenüber dem Jobcenter abgebaut werden konnten, reichen die Teilnehmenden oftmals das Mietangebot selbständig ein. Mit der Information über die bestehende Wohnungslosigkeit und einer höflichen Bitte um sofortiges oder zeitnahes Bearbeiten, erhalten die jungen Menschen zügig die Mietübernahmebescheinigung. Auch die ZFW wirkt unterstützend bei der Erlangung einer Mietübernahmebescheinigung mit. Diese kann bei einer höheren Miete das Jobcenter veranlassen, die Mietkosten trotzdem zu übernehmen. Bei einer Abgabe eines Mietangebotes ist es sinnvoll, alle professionellen Kanäle zu nutzen, die zur Verfügung stehen, um schnellstmöglich die Mietübernahmebescheinigung zu erhalten. Bei Erhalt wird diese entweder persönlich bei dem*der Vermieter*in abgegeben oder per E-Mail verschickt. Bei Zusage und Unterschrift des Mietvertrages beider Parteien können dann Anträge auf Kautionsübernahme, Erstausstattung und Renovierungskosten gestellt werden. Die Wohnungsübergabe, beispielsweise die Prüfung auf Mängel oder das Ablesen der Zählerstände, wird vorbereitet und bei Bedarf begleitet. Über die Notwendigkeit des Übergabeprotokolls wird aufgeklärt.
Die Einzugsplanung (Transport, Auskunft über Sozialläden, Finanzplan aufstellen) kann gemeinsam besprochen werden. Nach Bezug der Wohnung erfolgt die Anbindung an einen Stromversorger, Internetanbieter und Hausarzt, Daueraufträge werden eingerichtet, die Meldebescheinigung wird beantragt, notwendige Institutionen über die neue Adresse werden in Kenntnis gesetzt und das Rundfunkbeitragskonto wird angemeldet. Ab diesen Zeitpunkt erhalten die jungen Menschen selbst ihre Post. 

Ankommen im eigenen Wohnraum

"In der Regel möchten die jungen Menschen einen Einpersonenhaushalt führen. Ruhe, Unabhängigkeit und/oder Abstand zu den Bekannten, sind Argumente, die auf Nachfrage bezüglich einer Wohngemeinschaft, geäußert werden. Das Beziehen einer Wohnung ist ein selbstgestecktes Ziel und ein Wunsch, aber dahinter können sich Ängste, Sorgen und Einsamkeit verbergen."

Nach dem Einzug

Daher kann das Ankommen im eigenen Wohnraum für junge Menschen, die über einen vergleichsweise längeren oder tatsächlich langen Zeitraum entkoppelt waren, eine soziale und emotionale Herausforderung beinhalten, die mit Stresssymptomen einhergehen kann.  Es scheint, als ob für diese jungen Menschen nach dem Einzug Symptomatik, die zur Entkopplung mitgeführt haben, wieder in den Vordergrund treten. Perspektivlosigkeit, Erschöpfungssymptome, Schlafstörungen, starkes Einsamkeitsgefühl, selbstverletzende Verhaltensweisen, Depressionen, Unruhe, Gefühl der Sinnlosigkeit, Antriebsstörungen oder Suchtdruck äußern sich. Die für die Teilnehmenden altbekannten Strategien wie beispielsweise steigender Konsum von Drogen und/oder sozialen Medien sowie die Rückzugs- und Vermeidungstendenzen können verstärkt werden.

"Eine junge Teilnehmerin der Jugendberatung Gröpelingen gab nach dem Einzug an, dass sie genau vor diesen Gefühlen Angst hatte und deswegen drei Jahre keine Wohnung beziehen konnte. Den Cannabiskonsum erhöhte sie, um unter anderem die Einsamkeit, die Schlafstörungen sowie die selbstverletzenden Verhaltensweisen zu ‚mindern‘. In manchen Fällen ziehen sich die jungen Menschen nach einem Wohnungseinzug zurück und die Nachbetreuung wird somit unmöglich."

Anbindungs-prozess




Anbindung an das Gesundheits-system

Eine Vernetzung mit den jeweilig zuständigen sozialpsychiatrischen Diensten, Psychiatrien, Beratungsfachstellen für Sucht, Schulden, Missbrauch und Gewalterfahrungen sind während des Anbindungsprozesses ebenfalls von enormer Wichtigkeit, um auftretende Stresssymptome und negative Emotionen nach einem Einzug abzumildern. Die Biografien entkoppelter junger Menschen können traumatische Ereignisse durch Vernachlässigung im Elternhaus oder Pflegefamilien, Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, Sucht- und psychische Erkrankungen eines oder beider Elternteile, Fluchterfahrungen sowie Kriegserlebnisse beinhalten. In der Praxis gestaltet sich die Anbindung an das Gesundheitssystem sehr schwierig. Lange Wartelisten, Aufnahmestopps, die klare Trennung des Psychiatrie- und Suchtbereichs, die Angst vor Entgiftungen und Aufenthalte in Kliniken oder fehlende Einsicht erschweren den Anbindungsprozess. In akuten Situationen beispielsweise durch Eigen- oder Fremdgefährdung findet zwar ein Klinikaufenthalt statt, jedoch wird der Übergang von der Klinik in die Wohnung nicht nachhaltig gestaltet. Die Akutsituation ist vorüber und somit wird die Entlassung angeordnet. Eine Anbindung durch die Klinik an das weitere psychiatrische Hilfesystem, beispielsweise die Ambulant Psychiatrische Pflege (APP) oder Soziotherapie, findet nicht statt, und auch diese Wartelisten sind lang. Bei Bedarf regt die Klinik eine rechtliche Betreuung beim Betreuungsgericht an. Die weitere Einnahme der Medikamente kann über das Behandlungszentrum erfolgen. Ähnlich sieht die Lebenssituation nach einer Entgiftung oder einer Drogentherapie aus. Die Jugendberatung Gröpelingen unterstützt in diesen instabilen Zeiten, da diese erneut zu einer Entkopplung führen können. Wohnungserhalt, Psychoedukation und Anbindung an eine gesetzliche Betreuung sowie die Korrespondenz mit Behörden tragen zur Stabilisierung bei.

Die Anbindung an das sozialrechtliche Leistungssystem sowie an Wohnraum ist von wesentlichen Faktoren wie gültige Ausweisdokumente, Meldebescheinigung, einem Bankkonto, mobiler Erreichbarkeit, einer vorhandenen Postadresse, Steueridentifikationsnummer sowie Sozialversicherungsnummer abhängig und für entkoppelte junge Menschen ein existenzieller Schritt. Jedoch nur der Erste! Die ‚Lebensthemen‘ wie Gesundheit, Beziehung, Familie, Freundeskreis, Finanzen, private, schulische und berufliche Perspektiven, rücken oftmals erst mit dem Beginn des Wohnens in den Fokus und prägen die Nachbetreuung, um einen möglich wiederkehrenden Entkopplungsprozess nachhaltig zu verhindern

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Care Leaver*innen verfügen über Erfahrungen in stationären Erziehungshilfen (Jugendwohngruppen, Pflegefamilien oder andere betreute Wohnformen) und befinden sich im Übergang aus diesen Hilfeformen in ein eigenverantwortliches Leben oder leben bereits in eigenem Wohnraum. Care Leaver*innen können nachgehend eine ambulante Betreuung in Anspruch nehmen oder in anderen Hilfesettings (z. B. Jugendsozialarbeit oder Eingliederungshilfe weiter begleitet werden).
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