Impulse aus internationalen Beispielen guter Praxis

Dieser Baustein bietet Einblicke in die Arbeit mit jungen, wohnungslosen Menschen in verschiedenen Ländern (Kanada, Finnland, Schottland, Groß Britannien, Deutschland). Ausgewählte Projekte liefern Impulse für die Arbeit in den JUST-BEst-Projekten. 

Family and Natural Supports

Ein Beispiel aus Kanada

Family and Natural Supports (FNS) verfolgt den Ansatz Beziehungen zwischen jungen Menschen (13-24 Jahren) und ihren Familien oder anderen erwachsenen Bezugspersonen zu stärken um Obdachlosigkeit zu verhindern.

Hintergrund: Das Wort „Familie“ ruft bei vielen jungen Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen oder bedroht sind, gemischte Gefühle hervor. Familie wird durch Konflikte, Vernachlässigung oder sogar Missbrauch und Trennung häufig mit negativen Erfahrungen verbunden. Dementsprechend wird eine große Anzahl junger Menschen obdachlos, weil sie Probleme mit ihren Eltern und ihrer Familie hatten. Die kanadische Studie „Without a Home“ ergab, dass 77,5 % der Jugendlichen die Unmöglichkeit, mit ihren Eltern auszukommen, als Hauptgrund für ihren Auszug von zu Hause angaben.

Obwohl viele junge Menschen vor missbräuchlichen oder anderweitig problematischen  Familiensituationen fliehen, ergab die Studie „Without a Home“ auch, dass die Mehrheit der befragten Jugendlichen mindestens einmal im Monat Kontakt zu einem Familienmitglied hat und dass 77,3 % ihre Beziehungen zur Familie gerne verbessern würden.

Für die meisten jungen Menschen gibt es mindestens einen Erwachsenen – ein Elternteil, ein Großelternteil, eine Tante, ein Onkel, ein Geschwisterteil, ein*e Nachbar*in, ein*e Lehrer*in, ein*e Tutor*in – eine Person, die ihnen wichtig ist und sich um sie kümmert. Die Stärkung dieser Beziehungen durch Beratung, Vermittlung und den Aufbau von Fähigkeiten kann die nötige Unterstützung sein, um Obdachlosigkeit zu vermeiden, den Anschluss an die Gemeinschaft und die Schule zu halten und ein Unterstützungsnetz zu schaffen, auf das der junge Mensch sein Leben lang zurückgreifen kann.

FNS macht es sich daher zur Aufgabe in der Begleitung junger Menschen entscheidende Bezugspersonen, die eine Rolle für die persönliche Entwicklung spielen, zu identifizieren und Wege zu finden, Jugendliche dabei zu unterstützen, diese lebenswichtigen Beziehungen zu verstehen, zu steuern und zu stärken.

Die Arbeit des FNS basiert auf dem Verständnis, dass sich junge Menschen nicht allein auf professionelle Unterstützung verlassen können – und auch nicht müssen -, um ein Gefühl der Zugehörigkeit und sozialen Integration zu erhalten.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das kanadische Programm „Reconnected“. Hier geht es um die sozialräumliche (Familie, Gemeinschaft, Gemeinde, Schule, etc.) Anbindung der jungen Menschen.

Ein Beispiel aus Finnland

Beratungs- und Unterstützungsleistungen für 23 lokale Vereinigungen in ganz Finnland, die Wohnraum für junge Menschen bereitstellen, um deren Übergang zu einem unabhängigen Leben zu unterstützen.

NAL verfügt über 4.000 Wohnungen, die sie teilweise selbst als (sozialer) Vermieter und zum Teil über andere Wohnungsbaugesellschaften an die jungen Menschen vermittelt. NAL bietet Wohnberatung für alle jungen Menschen im Alter von 18 bis 34 Jahren an, insbesondere für diejenigen, die in ein unabhängiges Leben wechseln. Die Wohnberatung besteht aus individueller Wohnorientierung und Frühintervention.

Die Wohnberatung konzentriert sich auf das Lernen über Rechte und Pflichten als Mieter*in, finanzielle Kenntnisse und Haushaltsführung, Instandhaltung der Wohnung und was zu tun ist, wenn etwas schiefläuft. Wenn man zum Beispiel eine Rechnung nicht bezahlen kann oder unter Angstzuständen oder einer schlechten psychischen Verfassung leidet. NAL informiert über Unterstützungsmöglichkeiten sowie darüber wie diese in Anspruch genommen werden können. Die Wohnberatung wird sowohl in Gruppen als auch für Einzelpersonen angeboten.

Die Frühintervention dient der Verhinderung von Zwangsräumungen. Die Wohnberater*innen haben Zugang zur Mietdatenbank und können sehen, ob die Miete nicht gezahlt wurde. Das frühzeitige Eingreifen ermöglicht es den Berater*innen den jungen Menschen zu kontaktieren, bevor der*die Vermieter*in einen Brief schickt.  Die Berater*innen können den jungen Menschen helfen, einen Finanzplan aufzustellen und so gemeinsam mit den jungen Menschen eine Lösung finden.

Ein Beispiel aus Schottland

Ausgehend davon, dass psychische Probleme einer der Faktoren sein können, die einen jungen Menschen in die Obdachlosigkeit treiben, hat die schottische Wohltätigkeitsorganisation für junge, wohnungslose Menschen „RockTrust“ ein „health and wellbeing team“ ins Leben gerufen.

Das health and wellbeing team besteht aus drei Kunsttherapeut*innen und wird durch Peer-Mentor*innen unterstützt. Das Angebot ist flexibel, um den Bedürfnissen der jungen Menschen gerecht zu werden und sie dort abzuholen, wo sie sind. Sie können zunächst per SMS Kontakt aufnehmen und sich dann, wenn sie dazu bereit sind, mit einem*einer Therapeut*in treffen und zu einer Einzelsitzung übergehen, Gruppenunterstützung in Anspruch nehmen oder sich der Unterstützung durch Gleichaltrige anschließen.

Junge Menschen können an  Gruppenaktivitäten, wie Spaziergänge, Kunst, Fotografie, Collagen, Bildhauerkurse oder Yogatherapie teilnehmen.  

Zudem gibt es die Möglichkeit der Begleitung durch Peer-Mentor*innen. Die Mentees werden von den Mentor*innen insbesondere dabei unterstützt, an den angebotenen Aktivitäten teilzunehmen.

Ein Beispiel aus Finnland

Das Projekt NEA fokussiert die Unterstützung von Frauen, die seit langem obdachlos sind und oft mit psychischen Problemen und/oder problematischem Drogenkonsum leben. In einem Teilprojekt arbeiten „experts by experience“ (= Expert*innen in eigener Sache). Jede Sozialarbeiterin arbeitet hier stets im Team mit einer jungen Frau, die zuvor wohnungslos war.

Die Zusammenarbeit mit den Expertinnen in eigener Sache hat den Sozialarbeiterinnen neue Perspektiven, Ideen und Ansätze für die aufsuchende Arbeit mit jungen Frauen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, an die Hand gegeben. Die Sozialarbeiterinnen bringen das Fachwissen mit, z.B. wie man Zugang zu Unterstützungsleistungen erhält und wie man mit der Erfahrung der Obdachlosigkeit umgeht. Während die Expertin in eigener Sache die Erfahrungen der jungen Frauen kennt und sich in ihre Situation hineinversetzen und eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen kann. Sie wissen, worauf sie im Verhalten und in der Einstellung der jungen Person achten müssen. Sie sind sehr sensibel und erkennen Hinweise, die der Sozialarbeiterin verborgen bleiben. Gemeinsam können die junge Frau, die von Obdachlosigkeit betroffen ist, die EbE und die Sozialarbeiterin den für die jeweilige junge Frau richtigen Weg aus der Obdachlosigkeit finden.

Die EbE geben diesen Frauen Hoffnung. Viele der jungen Frauen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, kennen keine Frau, die diese schwierige Situation überlebt hat, geschweige denn mit einem Obdachlosendienst zusammenarbeitet. Viele dieser jungen Frauen haben in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Sozialdiensten gemacht und sind daher misstrauisch. Die EbE haben hier eine wichtige Vorbildfunktion.

Ein Beispiel aus Großbritannien

Die Organisation tgp CYMRU arbeitet mit jungen Erwachsenen von 18-25 Jahren, die in der Jugendhilfe gelebt haben und nun wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Neben weiteren Angeboten für diese Adressat*innengruppe, haben Sie ein aufsuchendes Team, das jungen Menschen die Möglichkeit gibt, sich selbst zu melden. Die Kontaktaufnahme ist über verschiedene digitale Kanäle möglich. Zudem setzt die tgp CYMRU auf den Einsatz von Personen mit eigener Jugendhilfeerfahrung in verschiedenen Positionen.

Das grundlegende Ziel der Organisation tgp CYMRU ist es, jungen Menschen dabei zu helfen, ihr Mietverhältnis aufrechtzuerhalten, ihre Fähigkeiten für ein selbständiges Leben zu verbessern, zu lernen, wie man sich in den Bereichen Sozialhilfe, Gesundheit und Wohnungswesen zurechtfindet, und gleichzeitig eine Beziehung zu den jungen Menschen aufzubauen, die sie stärkt.

Der Erstkontakt geht dabei von den jungen Menschen aus. Die Kontaktaufnahme ist über verschiedene digitale Wege möglich – über die Website, WhatsApp und soziale Medien. Dabei wird insbesondere auf die Sprache großen Wert gelegt. So wird z.B. davon abgesehen Fachvokabular zu verwenden umso die Dienste für junge Menschen leichter zugänglich zu gestalten. Zudem hat das Projekt eine Person mit eigener Jugendhilfeerfahrung eingestellt, welche insbesondere die Erstkontakte übernimmt. Dieses ermöglicht einen Austausch von Peer to Peer.

Zudem sind Personen mit eigener Jugendhilfeerfahrung Teil der Einstellungskommissionen für neues Personal. Die Idee dahinter ist es, die Bedürfnisse junger Menschen und ihre Perspektive bei der Einstellung des Personals einzubringen. Dieses sorgt für ein an den Bedarfen der jungen Menschen orientiertes Fachkräfteteam.

Ein Beispiel aus Deutschland

JuMeGa® – vermittelt Jugendliche mit multiplen Problemlagen in Gastfamilien und beugt so Wohnungslosigkeit vor.

Angesprochen sind junge Menschen, die in einer Jugendhilfemaßnahme gescheitert sind, deren leibliche Eltern mit der Erziehungsaufgabe nachhaltig überfordert sind, die von seelischer Behinderung bedroht oder betroffen sind und unter diesen Belastungen leiden.

Die konkreten Probleme und Belastungen der jungen Menschen können sehr vielfältig sein: Ängste, Probleme in sozialen Beziehungen, Verwahrlosungstendenzen, Schulverweigerung, depressive und selbstzerstörerische Tendenzen, Essstörungen, psychotische Störungen, Erfahrung mit Suchtmitteln und sonstige Besonderheiten.

Die grundlegende Idee von JuMeGa besteht darin, durch das Leben in einer Gastfamilie einen geeigneten Rahmen zu bieten um Beziehungen einzugehen, sich zu stabilisieren und emotional sowie sozial zu reifen. Der Alltag in einer Gastfamilie bietet dem jungen Menschen die Chance, Normalität zu erfahren und eigene, oftmals ungeahnte Fähigkeiten zu aktivieren.

Die Jugendlichen und ihre Gastfamilien werden intensiv von einem Team pädagogischer Fachkräfte begleitet. Die Gastfamilien bieten die ganze Bandbreite an familiären Lebensformen. Bei der Zuordnung von jungem Menschen und Gastfamilie wird sehr genau überlegt, welche Familienstruktur, welches Wertesystem, welches Umfeld und welches Verhältnis von Nähe und Distanz der junge Mensch braucht. Auch die individuellen Bedürfnisse des jungen Menschen und seiner Eltern werden einbezogen

Der junge Mensch kann bis zu seiner Rückkehr zur Herkunftsfamilie, bis zu seiner Verselbstständigung oder bis zum Übergang in eine andere Jugendhilfemaßnahme in seiner Gastfamilie bleiben.Die konkreten Probleme und Belastungen der jungen Menschen können sehr vielfältig sein: Ängste, Probleme in sozialen Beziehungen, Verwahrlosungstendenzen, Schulverweigerung, depressive und selbstzerstörerische Tendenzen, Essstörungen, psychotische Störungen, Erfahrung mit Suchtmitteln und sonstige Besonderheiten.

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Care Leaver*innen

Care Leaver*innen verfügen über Erfahrungen in stationären Erziehungshilfen (Jugendwohngruppen, Pflegefamilien oder andere betreute Wohnformen) und befinden sich im Übergang aus diesen Hilfeformen in ein eigenverantwortliches Leben oder leben bereits in eigenem Wohnraum. Care Leaver*innen können nachgehend eine ambulante Betreuung in Anspruch nehmen oder in anderen Hilfesettings (z. B. Jugendsozialarbeit oder Eingliederungshilfe weiter begleitet werden).
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