Gesundheit & Armut

Dorothee Kochskämper und Severine Thomas

Zahlen & Fakten zu Armut junger Menschen in Deutschland

  • Eine Person gilt in der Europäischen Union (EU) als von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, wenn mindestens eine der folgenden drei Bedingungen zutrifft:
    1. Ihr Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze (= weniger als 60 % des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung)
    2. ihr Haushalt ist von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen (Lebensbedingungen sind aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln deutlich eingeschränkt. Die Betroffenen sind zum Beispiel nicht in der Lage, ihre Rechnungen für Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen zu bezahlen, eine einwöchige Urlaubsreise zu finanzieren, abgewohnte Möbel zu ersetzen oder einmal im Monat im Freund*innenkreis oder mit der Familie etwas essen oder trinken zu gehen)
    3. sie lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung (= Haushaltsmitglieder sind insgesamt sehr wenig oder nicht in den Arbeitsmarkt eingebunden).
  • In Deutschland waren im Jahr 2022 gut 17,3 Millionen Menschen (20,9% der Bevölkerung) von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht: 14,7 % der Bevölkerung waren armutsgefährdet, 6,1 % waren von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen, 9,7 % der Menschen lebten in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.
  • Fokus U18: In Deutschland waren im Jahr 2021 2,88 Millionen (20,8%) der unter 18Jährigen armutsgefährdet.
  • Fokus 18-25Jährige: Im Jahr 2021 waren in Deutschland bei den jungen Erwachsenen U25 1,55 Millionen Personen (25,5%) armutsgefährdet. Insgesamt haben die jungen Erwachsenen das höchste Armutsrisiko aller Altersgruppen.
  • Viele dieser jungen Menschen benötigen SGB II-Leistungen zur Existenzsicherung. Betroffen waren im Juni 2022 1,9 Millionen (13,9%) der unter 18Jährigen. 7,1 % (432.000 Personen) der 18- bis 25Jährigen bezogen zu dem Zeitpunkt SGB II-Leistungen.
  • In dieser Altersgruppe stehen jungen Menschen neben dem SGB II-Leistungen auch andere Unterstützungsleistungen, wie BAföG, Wohngeld o. ä. zu. Die hohe Armutsbetroffenheit zeigt jedoch, dass die verschiedenen Unterstützungssysteme bislang nicht gut ineinandergreifen, sodass Armut trotz Unterstützungsleistungen nicht vermieden wird.
  • Kinder- und Jugendarmut steht in der Regel im Zusammenhang mit der Familiensituation. Die jungen Menschen können nichts dafür, wenn sie in armen Verhältnissen aufwachsen. Sie trifft keine Schuld und sie haben auch keine Möglichkeiten, sich selbst aus ihrer Armut zu befreien.

 

  • Finanzielle Ressourcen eröffnen jungen Menschen Möglichkeiten, sich selbst auszuprobieren, neue Erfahrungen zu sammeln und in andere Welten einzutauchen. Das können in Armut lebende junge Menschen nicht in gleichem Maße. Ihnen fehlen Erfahrungsräume. Sie erleben Scham und Ausgrenzung durch eine Nicht-Passung zu an der Mittelschicht ausgeprägten sozialen Normen und Vorstellung.

 

  • Jugendliche und junge Erwachsene können zwar Geld hinzuverdienen. Die meisten von ihnen besuchen jedoch noch die Schule, sind in einer Vollzeit-Ausbildung oder gehen einem Vollzeit-Studium nach. Es sollte ihnen möglich sein, ihre schulische/berufliche Bildung zu fokussieren ohne Sorgen bezüglich der eigenen finanziellen Existenzsicherung.

Armut & Gesundheit

Armut bedeutet Einschränkung in nahezu allen Lebensbereichen – wie Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe. Armut hat Auswirkungen auf die aktuelle Lebenssituation sowie auf zentrale Entwicklungsbedingungen und damit Zukunftschancen der jungen Menschen.  Diese Einschränkungen sowie daraus resultierende psychosoziale Belastungen spiegeln sich oftmals auch in der Gesundheit und dem Gesundheitsverhalten junger Menschen wider.

Die KiGGS-Studie (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland) stellt heraus, dass junge Menschen aus sozial benachteiligten Familien sowohl in Bezug auf die körperliche und psychische Gesundheit als auch hinsichtlich des Gesundheitsverhaltens geringere Gesundheitschancen haben.

Anhand der Ergebnisse der Studie kann bestätigt werden, dass ein niedriges Familieneinkommen, ein niedriger Bildungsstatus sowie ein niedriger beruflicher Status der Eltern erhebliche Auswirkungen auf den Gesundheitszustand sowie das Gesundheitsverhalten junger Menschen hat. 

Daraus lässt sich ableiten, dass junge Menschen, die in Armut aufwachsen, als zentrale Zielgruppe der Gesundheitsprävention und -förderung adressiert werden müssen.

Auswirkungen von Armut auf die Gesundheit

In Armut aufwachsende Kinder können sich oft nicht in ihrer ganzen Persönlichkeit entfalten. Sie haben mehr gesundheitliche Probleme bis hin zur Chronifizierung, die psychischen Belastungen sind wesentlich größer. Das ist besonders ab dem Grundschulalter sehr deutlich. Gesundheitliche Probleme wie Allergien und Asthma, aber auch schon frühe Erfahrungen in der Jugendzeit wie versuchte Suizide, Schwangerschaftsabbrüche gemacht zu haben, all das findet sich in armutsbetroffenen Milieus sehr viel öfter als in den Vergleichsgruppen."

Auswirkungen auf den Gesundheitszustand
  • psychosomatische Symptome, wie Bauch- und Kopfschmerzen, Schlafstörungen, depressive Symptomatik aufgrund subjektiver Belastungen
  • Beeinträchtigung im Hinblick auf die psychische Entwicklung und Gesundheit
  • Internalisierendes sowie externalisierendes Problemverhalten durch Minderwertigkeitsgefühle durch erlebte Diskriminierung
  • häufiger Adipositas
  • psychische Auffälligkeiten und psychosoziale Beeinträchtigungen
  • schulisches und familiäres Belastungserleben
  • häufiger chronische Krankheiten
  • häufiger von Behinderung betroffen
  • häufiger von Unfallverletzungen betroffen
Auswirkungen auf das Gesundheitsverhalten
  • geringere sportliche Betätigung
  • erhöhter Fernsehkonsum
  • früherer Kontakt zu Alkohol und Tabak
  • häufiger Tabakkonsum
  • schlechtere Ernährung
  • geringere Nutzung von Präventionsangeboten (z.B. Impfungen).

Funcke, A. & Menne, S. (2023): Factsheet Kinder- und Jugendarmut in Deutschland

Lampert, T. & Kuntz, B. (2019): Auswirkungen von Armut auf den Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen. Bundesgesundheitsblatt 62, 1263–1274 (2019).

Walper, S. (2024): Jugendliche in Armutserfahrungen: Welche Unterstützung kann Jugendhilfe leisten? In: ARCHIV für Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit. 55. Jahrgang, Nr. 1/2024.

Die umrissenen Lebenslagen bedingen Hilfebedarf. Welche Unterstützung kann Jugendhilfe für armutsgefährdete Jugendliche und junge Erwachsene leisten?

  • Niedrigschwellige, kostengünstige Bereitstellung verschiedener Angebote in den Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit, um soziale Teilhabe und damit u.a. Bildung und Bewegung sowie Einbindung in Peer-Netzwerke zu fördern
  • Beteiligungsprozesse – sei es im Jugendverband, in Einrichtungen und Diensten oder in kommunalen Gremien – müssen so ausgestaltet sein, dass Armut kein Hindernis für die Mitwirkung ist
  • Vernetztes Handeln, die Intensivierung von Kooperationsbeziehungen, die Sicherung und Optimierung von Schnittstellen sowie die Verbesserung von Übergängen für eine ämter- und institutionsübergreifende Unterstützung junger Menschen
  • Schulung von Fachkräften zum Thema Armut und armutssensibles Handeln

Vor allem wenn es darum geht, Personengruppen mit erhöhten Vulnerabilitäten zu erreichen, bedeutet dies für alle Akteurinnen und Akteure sowie Institutionen, sich mit gesundheitsfördernden Maßnahmen stärker an den jeweiligen Lebenswelten und an Verteilungsgerechtigkeit zu orientieren und diese über die Entwicklung koordinierter und partizipativ angelegter Konzepte und Strategien in den verschiedenen Handlungsfeldern wirkungsorientiert zu verankern.“

Nicht nur die Kinder- und Jugendhilfe ist gefragt!
Alle Akteuer*innen in kommunalen Institutionen und in Einrichtungen des Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereichs können Quellen gesundheitsfördernder Unterstützung sein!

Good-Practice-Kriterien für soziallagenbezogene Gesundheitsförderung

Eine Arbeitsgruppe des Beratenden Arbeitskreises der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und des bundesweiten Kooperationsverbunds Gesundheitliche Chancengleich­heit hat in einer Broschüre Kriterien für gute Praxis der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung erarbeitet. Diese dienen als fachlicher Orientierungsrahmen für die Planung und Umsetzung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung. 

Die Kriterien bieten Orientierung im Hinblick auf die Reflexion vorhandener Angebote sowie zur Gestaltung neuer Maßnahmen. Adressiert sind alle Fachkräfte in Bund, Ländern, Kommunen und Quartieren unterschiedlicher Handlungsfelder – in Kitas, Schulen und allen anderen Einrichtungen, die zur Förderung der Gesundheit sozialbenachteiligter Menschen beitragen können. 

Sozialbezogene Gesundheitsförderung?

… ist darauf ausgerichtet, sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheiten zu verringern und damit gesundheitliche Chancengleichheit zu stärken.

Ziel ist es, soziale Gruppen, die mit besonders großen Belastungen konfrontiert sind und zugleich über besonders geringe Ressourcen zur Bewältigung ihrer Belastungen verfügen, wie z.B. in Armut lebende bzw. armutsgefährdete junge Menschen, durch Belastungsminderung und Ressourcenstärkung zu unterstützen.

Abb. Kriterien für gute Praxis der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung (Stand: 2021)
Wie kann die Umsetzung der Kriterien in der Praxis aussehen? Ein Beispiel.

Eine Kommune richtet in einem Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf einen neuen Park mit verschiedensten Bewegungsangeboten ein. U.a. wird eine Skate-Anlage eingerichtet, die vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen genutzt werden soll. Da die von Armut betroffenen Familien meist in relativ kleinen Wohnungen leben, besteht ein großer Bedarf an Freizeitangeboten – insbesondere für junge Menschen, da sie sonst nur wenige öffentlich zugäng­liche Bewegungsräume vorfinden. Die jungen Menschen sind in die Planung und konkrete Gestaltung der Skate-Anlage einbezogen. Nach der Fertigstellung bietet der örtliche Sportverein gemeinsam mit dem nahe gelegenen Jugendfreizeitheim Skateboardkurse zur Einführung und zum Erwerb spezieller Skills an, um das Selbstbewusstsein der jungen Menschen zu stärken und gemeinschaftliche Aktivitäten anzure­gen. Der Träger des Jugendfreizeitheims nutzt den Kontakt zu den jungen Menschen, um ihnen weitere An­gebote wie z. B. Hausaufgabenhilfen bekannt zu machen sowie weitere soziallagenbezogene Aktivitäten mit ihnen gemeinsam zu planen und durchzuführen.

Ein Beispiel aus der internationalen Praxis:
Das Projekt „Youth-Well – working together for resilient and democratic youth“
  • Das Projekt Youth-Well basiert auf dem Ausgangsgedanken, dass die Verschlechterung der psychischen Gesundheit junger Menschen (u.a. durch zunehmende Armut in dieser Altersklasse) zu einer Verringerung der aktiven, gesellschaftlichen Teilnahme dieser Altersgruppe führt.
  • Um dem entgegen zu wirken, setzt Youth-Well bei der Gesundheitsförderung junger Menschen an.
  • Dazu vernetzt das Projekt junge engagierte Menschen (18-30 Jahre) und Fachkräfte aus verschiedenen europäischen Ländern und unterstützt sie bei der Gestaltung und Durchführung von Initiativen und Projekten in ihren Heimatorten, die sich gleichermaßen mit der psychischen Gesundheit sowie Beteiligung junger Menschen beschäftigen.
  • Es werden lokale sowie digitale Initiativen und Projekte entwickelt.
  • Zudem wird im Rahmen des Projekts Schulungsmaterial für Fachkräfte, die mit der o.a. Zielgruppe arbeiten, in verschiedenen Sprachen erstellt.
  • An dem Projekt sind Organisation aus Zypern, Irland, Serbien, Italien, Portugal, Griechenland und Spanien beteiligt.
  • Das Projekt wird durch die EU gefördert und läuft von Januar 2024 bis November 2025. 

 

>>Weitere Informationen zum Projekt.

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Care Leaver*innen verfügen über Erfahrungen in stationären Erziehungshilfen (Jugendwohngruppen, Pflegefamilien oder andere betreute Wohnformen) und befinden sich im Übergang aus diesen Hilfeformen in ein eigenverantwortliches Leben oder leben bereits in eigenem Wohnraum. Care Leaver*innen können nachgehend eine ambulante Betreuung in Anspruch nehmen oder in anderen Hilfesettings (z. B. Jugendsozialarbeit oder Eingliederungshilfe weiter begleitet werden).
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