Sabine Gembalczyk
Die ursprüngliche Idee des „Ombudsmans“ ist im frühen 19. Jahrhundert in Schweden entstanden. Sie basierte auf dem Grundgedanken Bürger*innen vor missbräuchlicher Machtausübung durch die Justiz und die öffentliche Verwaltung zu schützen (vgl. Hansbauer und Stork 2017, S. 159). Inzwischen haben sich Ombudschaften in einer Vielzahl unterschiedlicher Ausprägungen und Formen auf der ganzen Welt verbreitet.
Unter anderem kommt das Modell Ombudschaft als nationales Menschenrechtsinstrument zur Förderung sowie zum Schutz der Menschenrechte zum Einsatz – zum Beispiel im Bereich der Kinderrechte. In Europa haben sich seit 1987 unabhängige Ombudschaften nach dem klassischen Modell im European Network of Ombudsperson for Children (ENOC) zusammengeschlossen, um die Kinderrechte zu fördern und zu sichern. Insgesamt 43 Mitgliederorganisationen aus 33 Ländern – davon 21 EU-Staaten – haben sich in dem Netzwerk bis 2023 zusammengeschlossen. Hier handelt es sich um klassische Ombudschaften für die Gruppe der jungen Menschen bis 18 Jahre. In Deutschland haben sich hingegen Ombuschaften für den Bereich Kinder- und Jugendhilfe (junge Menschen, Eltern, Familien) entwickelt, nicht aber eine Ombudschaft speziell für junge Menschen, die den Kriterien von ENOC entspricht. Somit ist Deutschland einer der sechs Staaten der Europäischen Union, die nicht dem Netzwerk angehören.
In Deutschland haben sich Ombudsstellen in Form von Beratungs- und Beschwerdestellen im Kontext Kinder- und Jugendhilfe entwickelt. Sie unterstützen, wenn junge Menschen oder ihre Familien (z.B. Eltern mit und ohne Sorgerecht, Pflegeeltern, Geschwister und weitere Familienangehörige) Stress oder Konflikte mit der Kinder- und Jugendhilfe haben. Mit Blick auf diese Entwicklung beschreibt Urban-Stahl Ombudschaft als eine unparteiische Vorgehensweise bei Streitfragen, in der die Interessen der strukturell unterlegenen Partei besondere Beachtung finden – Ziel ist es, die strukturelle Machthierarchie auszugleichen und eine gerechte Einigung zu erzielen (vgl. Urban-Stahl 2012, S. 7). Es geht darum mit einer (kinder-)rechtebasierten Perspektive die Rechte, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.
In den letzten zwei Jahrzehnen haben sich in fast allen Bundesländern Ombudschaften in der Jugendhilfe entwickelt, die die Adressat*innen der Kinder- und Jugendhilfe (junge Menschen und ihre Familien) in diesem Sinne unterstützen. Seit der Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes im Juni 2021, genauer durch die Neuaufnahme des § 9a Ombudsstellen im SGBVIII, sind die Länder inzwischen gesetzlich zur Einrichtung von unabhängigen Ombudsstellen verpflichtet. Einen Überblick über bundesweite Ombudsstellen finden Sie hier.
Aus einer rechtebasierten Perspektive geht es dabei darum den Fokus auf die jungen Menschen zu legen und sie zu unterstützen ihre Handlungsmächtigkeit zu erweitern, damit sie bei Konflikten und zu viel Fremdbestimmung durch Erwachsene in der Kinder- und Jugendhilfe zu Akteur*innen werden können. Es geht darum eine Parteilichkeit für junge Menschen im Sinne der Kinderrechte zu verfolgen (vgl. Gembalczyk 2023, S.182).
Die Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetz aus 2021 ist einen Schritt in Richtung eines rechtebasierten Ansatzes gegangen. Nichtsdestotrotz bleiben trotz der Etablierung von Beschwerde- und Ombudsstellen (§ 9a SGBVIII) sowie der Selbstvertretungen (§ 4a SGBVIII), eigenständige Rechtsansprüche von jungen Menschen im Kinder- und Jugendhilfegesetz nach wie vor eher überschaubar. Ausnahmen sind zum Beispiel die Eingliederungshilfe nach § 35a oder die Inobhutnahme § 42 SGB VIII.
So liegt zum Beispiel nach wie vor in den Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 SGB VIII der individuelle Rechtsanspruch auf Leistungen auch nach der Reform bei den sorgeberechtigten Erwachsenen.
Den jungen Menschen unter 18 Jahre werden vor allem eine Reihe von eigenständigen Beteiligungsrechten im Kinder- und Jugendhilfegesetzt eingeräumt. Diese räumen ihnen die Möglichkeit ein sich im Jugendhilfeverfahren einzubringen und im beste Fall mitzubestimmen und sollen vor allem ein „Kippen“ des Erziehungsverhältnisses, in dem junge Menschen dann als Objekte der Erziehung gesehen werden, entgegenwirken (vgl. Schröer 2021, S. 76).
Insbesondere dann, wenn jungen Menschen ihre Beteiligungsrechte von Erwachsenen verweigert werden, wird die strukturelle Machtasymmetrie zwischen den Generationen sowie innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe deutlich. Dann braucht es eine rechtebasierte Perspektive auf junge Menschen, dann braucht es eine Parteilichkeit für junge Menschen, um einen Machtausgleich anzustreben und einen Beitrag zu den Kinderrechten in der Kinder- und Jugendhilfe zu leisten.
Für die praktische Arbeit mit jungen Menschen heißt das (Gembalczyk 2023):
Viele dieser Prinzipien der ombudschaftlichen Beratung von jungen Menschen können im Grunde für alle Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe angewendet werden.
Dr. Sabine Gembalczyk, Diplom-Sozialarbeiterin (FH), Master of Social Work und Promotion an der Universität Hildesheim zum Thema „Externe Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe – Ein Beitrag zur Sicherung der Kinderrechte?“, verfügt über langjährige Erfahrung in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe und ist seit 2013 als Fachreferentin der Ombudschaft Jugendhilfe NRW tätig.
Gembalczyk, Sabine (2023): Externe Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe. Ein Beitrag zur Sicherung der Kinderrechte? 1. Auflage. Weinheim: Juventa Verlag
Hansbauer, Peter; Stork, Remi (2017): Ombudschaften für Kinder und Jugendliche – Entwicklungen, Herausforderungen und Perspektiven. In: Sachverständigenkommission 15. Kinder- und Jugendbericht (Hrsg.) (Hg.): Materialien zum 15. Kinder- und Jugendbericht. Zwischen Freiräumen, Familie, Ganztagsschule und virtuellen Welten – Persönlichkeitsentwicklung und Bildungsanspruch im Jugendalter. München: Verlag Deutsches Jugendinstitut, S. 155–201.
Kucsko-Stadlmayer, Gabriele (2008): Europäische Ombudsman-Institutionen. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur vielfältigen Umsetzung einer Idee. Wien u.a.: Springer.
Schröer, Wolfgang (2021): Stärkung der eigenständigen Rechtsansprüche von jungen Menschen – zur reflexiven Modernisierung des Kinder- und Jugendhilferechts. In: Kirsten Scheiwe, Wolfgang Schröer, Friederike Wapler und Michael Wrase (Hg.): Der Rechtsstatus junger Menschen im Kinder- und Jugendhilferecht. Beiträge des ersten Forums Kinder- und Jugendhilferecht 2018. 1. Auflage. Baden-Baden: Nomos, S. 71-88.
Urban-Stahl, Ulrike (2012): Beschwerden- und Ombudstellen in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Forum Jugendhilfe (1), S. 5–11
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