Das Tripelmandat unterstützt Fachkräfte darin, komplexe Entscheidungssituationen zu analysieren und professionell zu begründen. Es hilft, Spannungen zwischen institutionellen Anforderungen, individuellen Bedürfnissen und ethischen Prinzipien nicht nur auszuhalten, sondern reflektiert zu bearbeiten.
Die folgenden Fallbeispiele zeigen, wie sich das Tripelmandat in der Praxis anwenden lässt, als Instrument professioneller Verantwortung und menschenrechtlicher Orientierung.
Eine Fachkraft in einer Wohngruppe begleitet eine junge Frau kurz vor ihrem 18. Geburtstag zu einem Hilfeplangespräch. Sie kam als unbegleitete minderjährige Geflüchtete nach Deutschland und beantragt nun die Fortführung ihrer Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII. Fachkräfte der Einrichtung und des Jugendamts halten diese Unterstützung für notwendig, da die junge Frau noch keine stabile Lebensgrundlage hat.
Trotz dieser Einschätzung lehnt die Leitung des Jugendamtes die Hilfe ab, mit dem Hinweis, dass künftig keine Hilfen für über 18Jährige unbegleitete Minderjährige mehr gewährt werden sollen. Das Verwaltungsgericht München entschied, dass diese Ablehnung rechtswidrig war, da sie allein aus politischen Gründen erfolgte (vgl. VG München, Beschluss vom 20.01.2025 – M 18 E 25.184).
Das Urteil stellt klar: Hilfen nach § 41 SGB VIII dürfen nicht aus politischen oder finanziellen Erwägungen verweigert werden, sondern müssen sich an pädagogischen Kriterien orientieren. Fachkräfte sind daher verpflichtet, den individuellen Bedarf zu begründen und, wenn nötig, gegen rechtswidrige Entscheidungen Widerspruch einzulegen.
Das Tripelmandat in Fall 1:
Reflexionsfenster:
Wie kann eine Fachkraft ihre professionelle Verantwortung wahrnehmen, wenn politische Entscheidungen die Rechte junger Menschen einschränken?
→ Überlegen Sie, welche Argumentationsstrategien und rechtlichen Grundlagen Sie in einem solchen Fall nutzen könnten.
In einem Praxisprojekt zur Verbesserung von Übergängen ins Erwachsenenleben werden Care Leaver*innen eingeladen, ihre Erfahrungen mit der Kinder- und Jugendhilfe (öffentlichen und freien Trägern) zu teilen. Einige junge Menschen berichten, dass häufig ohne sie über ihre Angelegenheiten entschieden wurde.
Die Fachkraft steht in einem Spannungsfeld: Einerseits muss sie Berichte für den freien Träger und das Jugendamt verfassen, andererseits möchte sie echte Beteiligung ermöglichen. Das Tripelmandat hilft ihr, diese Spannung professionell zu reflektieren.
Das Tripelmandat in Fall 2:
Indem die Fachkraft Räume schafft, in denen Care Leaver*innen ihre Perspektiven selbst einbringen können, fördert sie Empowerment und stärkt ihre eigne Fachlichkeit. Sie nutzt ihre professionelle Position, um Selbstvertretung institutionell zu verankern z. B. durch partizipative Gremien oder regelmäßige Feedbackrunden.
Reflexionsfenster:
Wann haben Sie zuletzt erlebt, dass junge Menschen tatsächlich mitentscheiden durften und wann eher nicht?
→ Welche Bedingungen müssen, gegeben sein, damit Beteiligung wirklich wirksam wird?
Eine junge Frau bereitet sich mit 19 Jahren auf das Verlassen der stationären Erziehungshilfe vor. Trotz intensiver Suche findet sie keinen bezahlbaren Wohnraum. Das Jugendamt erklärt dennoch, die Hilfe sei beendet, und verweist auf fehlende Zuständigkeit.
Die Fachkraft erkennt, dass hier nicht individuelles Versagen vorliegt, sondern ein strukturelles Problem: Es fehlt an geeignetem Wohnraum. Jugendliche und junge Erwachsene mit Jugendhilfeerfahrung stoßen häufig auf dem Wohnungsmarkt auf Vorurteile.
Das Tripelmandat in Fall 3:
Professionelles Handeln endet hier nicht mit der Fallarbeit. Fachkräfte können ihre institutionelle Position nutzen, um strukturelle Veränderung zu unterstützen, beispielsweise durch Öffentlichkeitsarbeit, Netzwerkarbeit oder Mitarbeit in Fachgremien.
Reflexionsfenster:
Welche Möglichkeiten haben Sie in Ihrem Arbeitskontext, auf strukturelle Probleme (z. B. Wohnungsmangel, Diskriminierung) aufmerksam zu machen, ohne die eigene Rolle zu überschreiten?
Ein junger Mann mit Fluchterfahrung möchte eine Ausbildung beginnen, erhält aber wiederholt Absagen, teilweise mit diskriminierenden Begründungen. Die Fachkraft, die ihn begleitet, steht vor einem Dilemma: Soll sie sich auf die individuelle Unterstützung konzentrieren (z. B. Bewerbungstraining), oder soll sie die strukturelle Diskriminierung offen ansprechen?
Das Tripelmandat in Fall 4:
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpflichtet dazu, Benachteiligung aufgrund ethnischer Herkunft, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung zu verhindern. Die Fachkraft kann den jungen Mann ermutigen, Diskriminierung zu dokumentieren und gegebenenfalls die Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder spezialisierte Beratungsstellen einzubeziehen.
Reflexionsfenster:
Wie lässt sich eine Balance finden zwischen individueller Unterstützung und strukturellem Engagement gegen Diskriminierung?
→ Welche Netzwerke, Ombudsstellen oder juristischen Instrumente kennen Sie in Ihrem Arbeitsfeld?
Die Fallbeispiele verdeutlichen, dass das Tripelmandat kein abstraktes Modell ist, sondern ein praktisches Analyse- und Handlungsinstrument. Es ermöglicht Fachkräften, ihre Entscheidungen ethisch zu begründen, wissenschaftlich zu fundieren und rechtlich abzusichern.
Soziale Arbeit wird dadurch, als das sichtbar, was sie ist: eine Profession, die aktiv für Menschenrechte, soziale Teilhabe und Gerechtigkeit eintritt, in jedem einzelnen Fall und zugleich auf gesellschaftlicher Ebene.
Antirassistische Ansätze zielen darauf, Rassismus als strukturelles Problem zu erkennen, zu benennen und ihm entgegenzuwirken. Sie beinhalten die Auseinandersetzung mit eigenen (auch unbewussten) rassistischen Einstellungen und Strukturen sowie die Förderung von Gleichberechtigung und Teilhabe für alle jungen Menschen. Fachkräfte müssen sich kontinuierlich fort- und weiterbilden, um rassismuskritische Kompetenzen zu entwickeln und in ihrer Praxis umzusetzen (Scherr 2013). Dies bedeutet, nicht nur individuelle Diskriminierungserfahrungen von Jugendlichen mit Rassismuserfahrung zu thematisieren, sondern auch institutionelle Ausschlüsse kritisch zu hinterfragen und abzubauen.
Ein zentraler Bestandteil ist die Anerkennung von Mehrfachzugehörigkeiten und intersektionalen Lebensrealitäten, wie sie im Konzept der intersektionalen Sozialen Arbeit verankert sind (Mecheril, 2018). → Erklärvideo zu Intersektionalität
Beratungsprozesse müssen dabei machtkritisch gestaltet und partizipativ angelegt sein. Das bedeutet konkret: Fachkräfte reflektieren ihre eigene Positionierung im Machtverhältnis und schaffen Räume, in denen Jugendliche ihre Perspektiven selbstbestimmt einbringen können (Ha, 2021). Zugleich wird gefordert, dass Trägerstrukturen diversitätsorientiert ausgerichtet werden – etwa durch die Repräsentanz rassismuserfahrener Fachkräfte und eine bewusste rassismuskritische Organisationsentwicklung (Karakayali & Hochmuth, 2020).
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