Jugend und Corona

Wolfgang Schröer

Die Krisen der vergangenen Jahre – insbesondere die Regulationen während der COVID-19-Pandemie – haben gleichzeitig verdeutlicht, welchen Stellenwert die Verwirklichung der Rechte junger Menschen und die Sicherung der sozialen Teilhabemöglichkeiten haben. Sie sind ein Seismograph dafür, wie krisenfest die Kinder- und Jugendpolitik sowie -hilfe sind. Während der Hauptfokus zur Zeit der COVID-19-Pandemie auf einer Aufrechterhaltung der Qualifizierung und Betreuungsinfrastruktur lag, rückten die Verselbständigung und Selbstpositionierung in der Sicherung der sozialen Teilhabe von jungen Menschen mit Behinderungen und sozialen Benachteiligungen in den Hintergrund. Junge Erwachsene standen zudem gar nicht im Fokus der Politik. Hochschulen blieben bspw. von den Bildungseinrichtungen am längsten geschlossen – ohne dass es eine weiterführende Problematisierung gab, was diese Schließungen für den Alltag der jungen Erwachsenen bedeuteten.

Die Regulationen im Jugendalltag zu organisieren, wurde in den politischen Entscheidungsgremien eher über das Schulsystem und etwas später über Elternvertretungen zu regulieren versucht. Schüler*innen selbst wurden erst deutlich zeitverzögert einbezogen. Warum erscheint diese Beobachtung grundlegend? Sie verweist darauf, wie die Rechte auf Gehör und Beteiligung, wie sie
z. B. in der UN-KRK Grund gelegt sind, oder auf diskriminierungsfreie Teilhabe, wie sie z. B. in der UN-BRK formuliert sind, in Krisenzeiten verwirklicht werden. Zudem zeigen Studien während der COVID-19-Pandemie, dass die Frage, welche Ressourcen jungen Menschen zur Verfügung standen, keineswegs nur eine Frage von mehr weniger Freizeiträumen ist. Darüber hinaus wurde deutlich, dass die Kinder- und Jugendhilfe jenseits der Kindertagesbetreuung in dem Kontext der Krisenbewältigung während der Pandemie lange Zeit gar nicht als relevante Akteurin wahrgenommen wurde. Auch das ist ein wesentlicher Merkpunkt für die Analyse von Jugend in Krisenzeiten.

Erkenntnisse aus der Forschung: Die JuCo-Studien

Die JuCo-Studien des Forschungsverbunds der Universitäten Frankfurt und Hildesheim gehörten in Deutschland zu den sehr frühen Befragungen im Kontext der COVID-19-Pandemie. Mit den ersten Studienergebnissen konnte gezeigt werden, in welchem Ausmaß sich der Alltag junger Menschen durch die Begrenzung des öffentlichen Lebens und insbesondere der Bildungsinstitutionen und Freizeiteinrichtungen veränderte (Andresen et al., 2020; 2022; Lips, 2021). Essenziell für die Studien war der Ansatz, jungen Menschen über eine Befragung Zugänge zu eröffnen, Gehör zu finden, sich zu positionieren sowie Erfahrungen zu kommunizieren und zu bewerten – dies wurde unter dem Dach des multidimensionalen Konzeptes von Well-Being erfasst (Andresen, Wilmes & Möller, 2019).

Die JuCo-Studien kommen allgemein zu dem Ergebnis, dass sich weit über der Hälfte der Befragten von Politik und Gesellschaft nicht anerkannt und wahrgenommen sah. Die Mehrheit der Befragten sah zudem keine Möglichkeit der politischen Beteiligung – ein Mangel an Beteiligung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, der bereits vor der Pandemie empirisch belegt wurde (Andresen et al. 2019), sich allerdings mit dem politischen Krisenmanagement während der Pandemie verschärfte. Zudem gab fast die Hälfte der in JuCo II Befragten an, Sorgen bezüglich ihrer persönlichen Zukunft zu haben (Andresen et al. 2020). Doch auch der gegenwärtige Alltag mit den Anforderungen, nicht vor Ort, sondern sich meist allein und digital Lernstoff aneignen zu müssen, sei es in der weiterführenden Schule, der Berufsschule, in der Weiterbildung, der Berufsqualifizierung oder im Studium, fiel jungen Menschen eher schwer.

Anhand der Daten aus JuCo III lässt sich diskutieren, wer zu der Gruppe gehörte, die voll zustimmten, psychisch belastet zu sein und Zukunftsängste zu haben. Eine erste Gruppe waren diejenigen, deren eigene finanzielle Sorgen seit Corona größer geworden waren: In JuCo II stimmten 25,9 % derjenigen, die eigene finanzielle Sorgen haben, voll zu, unter psychischen Belastungen zu leiden; in JuCo III waren es 34,1 %. Der Anteil mit Zukunftsangst war bei jungen Menschen mit finanziellen Sorgen von 32,4 % in JuCo II auf 41,1 % in JuCo III gestiegen. Eine weitere Gruppe bildeten diejenigen, die angaben, dass ihnen die Möglichkeit fehlte, ihren Hobbys nachgehen zu können. Hier ist der Anteil derjenigen, die voll zustimmten, dass sie sich psychisch belastet fühlten, von 18,5 % bei JuCo II auf 32,1 % bei JuCo III gestiegen und bei der Zustimmung zur Zukunftsangst von 21,3 % in 2020 auf 34,6 % in 2021. Die Gruppe junger Menschen, denen Orte zum Abhängen fehlten, gehörte in JuCo III ebenfalls zu denjenigen, bei der Zukunftsangst und psychische Belastungen nicht zurückgegangen waren. Hier war der Anteil, der voll zugestimmt hat, psychische Belastungen zu erleben, bei JuCo II mit 27,6 % bereits hoch, in JuCo III waren es sogar 40 %. Bei der Frage nach Zukunftsangst waren es in dieser Teilgruppe in JuCo II 30,2 %, die diesbezüglich voll zugestimmt haben und in JuCo III waren es 44,4 %.

Insgesamt verweisen die Daten, vor allem auf zwei Zusammenhänge in Bezug auf das Jugendalter. Erstens scheint es einen Unterschied im Wohlbefinden und in Bezug auf die psychischen Belastungen zu machen, welche Jugendräume den jungen Menschen ermöglicht werden. Es scheint nicht ein einfaches Surplus im Jugendalter zu sein, ob offene Räume – Hobbys nachgehen, Orte zum Abhängen etc. – vorhanden sind. Zweitens wird durchgehend deutlich, dass die Bewältigung in den unterschiedlichen Phasen der Pandemie stark von den sozialen und materiellen Ressourcen abhängig war. Anna Lips, Lea Heyer und Severine Thomas fassen darum die Ergebnisse folgendermaßen zusammen: „So waren die vor der Pandemie sichergestellten Zugänge zu Bildungsinstitutionen und individueller Förderung im Rahmen der gesetzlichen Schulpflicht im Zuge der Pandemie nicht mehr für alle junge Menschen und ihre Familien gleichermaßen zu meistern. Das Vorhandensein eines ungestörten Raumes, die digitale Ausstattung und Unterschiede in der Netzgeschwindigkeit oder in der grundlegenden Verfügbarkeit eines Internetanschlusses eröffneten Jugendlichen in unterschiedlichem Maße Zugänge zu Bildung und Freizeit. So wurde das häusliche Umfeld bei manchen zu einem multifunktionalen Lern-, Lebens- und Arbeitsraum und war bei anderen von Einsamkeits- und Überforderungsgefühlen geprägt, wenn diese räumliche Mehrdimensionalität nicht aus den eigenen Ressourcen heraus hergestellt, genutzt oder bewältigt werden konnte.“ (Lips, Heyer & Thomas, 2022, S. 85).

Andresen, A./Wilmes, J./Möller, R. (2019). Children’s Worlds+. Eine Studie zu Bedarfen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Bertelsmann Stiftung. DOI: 10.11586/2019007

Andresen, S./Heyer, L./Lips, A./Rusack, T./Thomas, S./Schröer, W./Wilmes, J. (2022). Verpasst? Verschoben? Verunsichert? Junge Menschen gestalten ihre Jugend in der Pandemie. Universitätsverlag Hildesheim. https://doi.org/10.18442/205

Andresen, S./Heyer, L./Lips, A./Rusack, T./Thomas, S./Schröer, W./Wilmes, J. (Hrsg.) (2021). Das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie. Erfahrungen, Sorgen, Bedarfe. Bertelsmann Stiftung. https://doi.org/10.11586/2021021

Andresen, S./Heyer, L./Lips, A./Rusack, T./Thomas, S./Schröer, W./Wilmes, J. (2020). „Die Corona-Pandemie hat mir wertvolle Zeit genommen“. Jugendalltag 2020. Universitätsverlag Hildesheim. https://doi.org/10.18442/163 

Lips, A. (2021). The Situation of Young People at Home During COVID-19 Pandemic. Childhood Vulnerability Journal, 3. https://doi.org/10.1007/s41255-021-00014-3 

Lips, A./Heyer, L./Thomas, S. (2022). Jugendliches Raumerleben während der Corona-Pandemie. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 17(1), S. 72–88. https://doi.org/10.3224/diskurs.v17i1.05

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